Dort, wo einst die ehemalige innerdeutsche Grenze verlief, ist ein einzigartiger Naturraum entstanden. Hier gehen sanfter Tourismus und Erinnerungskultur Hand in Hand.

500 Meter über der Wasserkuppe, höchster Berg im Mittelgebirge Rhön, klinkt der Pilot das Seil aus. Unter uns: die Kuppenrhön mit ihren unzähligen Gipfelchen. Als der Segelflieger eine Kurve macht, kann man durch die Kunststoffscheibe fast senkrecht nach unten spähen und erblickt einen sich schlängelnden bis zu 200 Meter breiten Geländestreifen: das Grüne Band, eines der größten Naturschutzgebiete Deutschlands. 

Das Grüne Band ist eine Vegetationszone entlang der einstigen deutsch-deutschen Grenze, die die alte Bundesrepublik von der DDR über 40 Jahre trennte. Nach der politischen Wende von 1989 und der deutschen Wiedervereinigung von 1990 fiel dem Grünstreifen eine einzigartige Rolle zu.



Natur schreibt Geschichte

An der Wasserkuppe kann man als Gast den Co-Pilotenplatz im Segelflug buchen – inklusive sagenhaftem Ausblick. Doch um das Grüne Band zu erkunden, muss man eintauchen in den einzigartigen Naturraum, in ein Stück der spannendsten und tragischsten Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.
Vom Ostseestrand am Priwall bis zum Dreiländereck bei Hof im Vogtland erstreckt sich das Grüne Band, auf 1.393 Kilometern, dort, wo in Deutschland der Eiserne Vorhang die Welt in Hemisphären teilte. Es patrouillierten 44.000 Soldaten, ein Metallgitterzaun markierte die politische Zäsur. Es gab fast 600 Wachtürme sowie Tausende Landminen, Selbstschussanlagen. Fluchtversuche – viele gescheiterte.


Seltene Arten im ehemaligen Sperrgebiet

Im Amtsdeutsch der DDR sprach man vom „Kontrollstreifen“, im Westen wurde die Grenze „Todesstreifen“ genannt. Doch das ganze ehemalige Sperrgebiet, das man nur mit Passierschein durchqueren durfte, hat sich längst zu einer Lebenslinie gewandelt, die jeder betreten darf. In der DDR wurde der Bereich direkt am Zaun regelmäßig umgepflügt und frei von Pflanzen gehalten, doch im Rest des meist menschenleeren Sperrgebietes konnte sich die Natur entfalten.  
Heute ist das Grüne Band mit einer Fläche von rund 800 Quadratkilometer der größte Biotop-Verbund Deutschlands, fast ein Drittel zählt zu Naturschutzgebieten. Mit Ausnahme des Hochgebirges kommen alle deutschen Landschaftsformen vor, vom Mittelgebirge bis zu den norddeutschen Niederungen. Zahlreiche bedrohte Arten leben in Wäldern und Mooren, Wiesen und Heideland, Bächen, Binnendünen und Orchideenwiesen, darunter Fischotter, Eisvogel, Schwarzstorch, Wildkatzen und Arten, die als ausgestorben galten wie der Kurzschwänzige Bläuling in Thüringen, ein Schmetterling.  


Über den Brocken lief die Grenze

Insgesamt neun Bundesländer berührt das Grüne Band, der Hauptanteil mit 763 Kilometern liegt in Thüringen, gefolgt von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen. Aktivurlauber können das Grüne Band komplett entlang wandern oder radeln. Unterwegs sind sie dann auf dem so genannten Kolonnenweg, dem mit zweireihigen Lochbetonplatten ausgelegten Weg, der auf Ostseite parallel zum Zaun angelegt wurde. Hier patrouillierten die DDR-Grenztruppen.
Eine der beliebtesten Strecken an der ehemaligen innerdeutschen Grenze ist der 90 Kilometer lange beschilderte Harzer Grenzweg. Hier vergeht kaum ein Kilometer, ohne dass man auf ein Relikt der Teilung stößt. Gleich zu Beginn entdeckt man den Grenzturm bei Rhoden, der Weg führt über den 300 Tage im Nebel liegenden Brocken, höchster Berg im Harz (1.141 Meter).


Sanfter Tourismus und viele Wanderwege

Den Brocken erklommen schon Heinrich Heine und Goethe, bevor er in der DDR zum Sperrgebiet und Standort einer Stasi-Abhöranlage wurde, die im Volksmund „Stasi-Moschee“ genannt wurde – wegen des Kuppelaufbaus auf einem quaderförmigen Sockel. Heute dient das Gebäude als Besucherzentrum des Nationalparks Harz. Später des Weges erreicht man das Freilichtgrenzmuseum Sorge, eines der vielen Museen am Grünen Band, die anhand von Relikten wie Wachtürmen und Grenzzäunen die Geschichte oft auch anhand von Einzelschicksalen dokumentieren.  

Das Angebot an Wanderwegen auch rund um das Grüne Band ist riesig. Es gibt beispielsweise den Zweiländerweg Rodachtal zwischen Bayern und Thüringen, den Grenzlandweg in der Eichsfelder Schweiz und mit der Burgruine Hanstein im westlichsten Zipfel von Thüringen sogar eine mittelalterliche Festung, die zwischen 1952 und 1989 im Sperrgebiet lag. Eine Fahrradtour bietet sich nahe der Grenzregion auch in der Naturlandschaft des Frankenwaldes an. Und überall hat man sich dem sanften Tourismus verschrieben – zum Schutz des buchstäblich historisch gewachsenen Naturraums.


„Little Berlin“ und Point Alpha

Ein ganz besonderer Ort ist Mödlareuth, auch bekannt als „Little Berlin“. Jahrzehntelang teilte wie die heutige gesamtdeutsche Hauptstadt die deutsch-deutsche Grenze das Dörfchen, das zu Teilen in Bayern und Thüringen liegt. Den Tannbach, der mitten durchs Dorf läuft, darf man seit nunmehr über 30 Jahren wieder überqueren. Das hiesige „Deutsch-Deutsche Museum“ ist ebenfalls ein Freilichtmuseum mit altem Grenzabschnitt samt Befestigungsanlagen.

Ein weiterer Tipp ist eine Wanderung bei Geisa im Ulstertal in der thüringischen Rhön, Ziel: Point Alpha, früher heißester Punkt des kalten Krieges, heute Gedenkstätte. Point Alpha auf hessischer Rhönseite war einer der wichtigsten Beobachtungsstützpunkte der NATO. Er lag mitten in der „Fulda Gap“, eine Verteidigungslinie, in der die NATO im Fall der Fälle die Invasion der Truppen des Warschauer Pakts erwartet hätte. Hier kommt auch vorbei, wer den Iron Curtain Trail entlang radelt, ein Radweg, der von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer verläuft.


Auf dem Weg zum Unesco-Welterbe?

Das Zusammenspiel von konservierter Natur und Spuren der Weltgeschichte als Erinnerungskultur ist einzigartig. „Ich kann mir kein besseres Denkmal für eine überwundene deutsch-deutsche Grenze vorstellen, als einen großen Nationalpark von der Ostsee bis zum Thüringer Wald“, sagte 1989 der berühmte deutsche Naturfilmer Heinz Sielmann, der sich früh für den Schutz des Grünen Bandes einsetzte.  Als erstes Bundesland wies Thüringen das Grüne Band 2018 als Nationales Naturmonument aus. Aktuell gibt es nicht nur Bestrebungen, das Band auf ganzer Länge zum Naturmonument zu erklären, sondern auch zum Unesco-Weltnatur- und Weltkulturerbe.  

Übrigens: Für einen guten Überblick müssen Sie nicht zwingend ins Segelflugzeug steigen. Auch von der Thüringer Warte aus, ein Aussichtsturm im bayerischen Teil des Thüringer Schiefergebirges, lässt sich ein Stück heute wild wuchernden Grenzstreifens noch sehr gut als Band erkennen – als Grünes Band.